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Montag, 20. Mai 2013

Liebes wildwechselndes Tagebuch, Teil 5

gewidmet: dem stolzen Vater, seiner Frau und seiner wunderschönen Tochter


Man! 
Ich fühle mich wie ein angefahrenes Reh. Seit Tagen vegetiere ich vor mich hin. Wie bin ich nur in dieses scheiß Unglück geraten? Warum konnte ich mich nicht für einen einfachen, sicheren Weg entscheiden. Stattdessen rannte ich mitten ins Verderben. Vermutlich hat mich der Lichtkegel den Maya ausstrahlt, wie ein Reh auf der Straße in eine kurze Schockstarre versetzt. Als ich dann realisieren konnte was da gerade geschieht war es wohl schon zu spät. Voll erwischt! Du Fisch! Zappelst am Haken. Wildwechselnde Gefühle. Wildwechsel. Fisch oder stirb. Fuck. Freiwild. Bin ich Freiwild? Nein. Frei bin ich nicht! Wild auch nicht mehr! Frei bewegen wie ein Fisch im wilden Wasser kann ich mich schon lang nicht mehr. Ich hab mich für den falschen Weg entschieden und mich im einem Fischernetz voller miserabler Gefühle verfangen oder um beim Wildwechsel zu bleiben, mich hat es voll von der Bahn gefetzt. Der Weg ist das Ziel, schlecht nur, wenn man sich nicht mehr auf dem Weg befindet und wenn man doch den Weg zurück findet, sollte man zumindest laufen können. Ich frage mich gerade, ob ich aus Instinkt gehandelt habe, wie ein Reh oder ob ich mir für meine Lage die Schuld selbst zuweisen muss? Dann wäre ich im Prinzip nie frei gewesen. Dann schränkt mich meine biologische Natur ja schon völlig ein. Dann ist der Mensch auch nicht frei geboren und liegt schon als Säugling in Ketten? Das wird mir hier zu philosophisch, das sollte man besser Menschen überlassen, die wissen was die Welt beschäftigt. Ich bin von der Realität und vom ganzen Prozess des Existierens in den Prozess des Vegetierens geraten. Eigentlich existiere ich nur auf dem Papier, meinen Körper kann man schon fast nicht mehr Gestalt nennen. Ich bin ein Wesen. Ein Brief hat mir den Todesstoß versetzt. Ein Brief von Maya.

Der Brief trägt den Titel: "Warum ich dich nicht lieben kann!"

Ich weiß nicht, ob ich den Brief einfach komplett zitieren soll damit er für immer einen Platz in meinem Tagebuch erhält oder ob ich nur die Teile herausnehme, die am schmerzhaftesten sind. Kritische Briefanalyse also. Wie beim Chandos Brief, und der Typ hat schon rumgeheult, weil er sich in einer Schreibkrise befand, aber das was jetzt kommt ist wirklich harter Stoff und hat mich in einen tiefen Graben der Verzweiflung befördert. Der Schmerz sitzt Tief und diesmal hat das nichts mit verbrannten Flügeln bei Flugversuchen oder Bruchlandungen zu tun. Diesmal hat mich ein Panzer erwischt. Es beginnt tragisch und endet noch viel tragischer.

" Joern, damit du es endlich mal raffst. Damit du endlich mal verstehst, dass ich dich nicht will. Damit du endlich mal wieder klar kommst." 

So fängt das ganze an. "Damit ich es endlich mal raffe." Die Anapher ist zumindest sprachlich ein nettes Stilmittel, aber der Inhalt ist krass. Ich meine als würde der Titel nicht schon genug aussagen. Sie hasst mich. Und immer wieder dieses "endlich" damit mir das Ende auch wirklich bewusst wird. So viel zum Anfang, eigentlich will man jetzt schon nicht mehr weiterlesen, aber es wird spannend versprochen.

" Joern. Ich kann und will dich nicht lieben. Ich habe dich nie geliebt. Ich habe es zwar gesagt -ja- und da können wir noch tausende Male drüber diskutieren, aber es war keine Liebe. Mit Arno erfahre ich was wahre Liebe ist. Unabhängig vom Alter. Unabhängig vom Aussehen. Unabhängig von all dem Schlechten auf dieser Welt. Ich liebe ihn aufrichtig. Und ich will, dass du das begreifst."

Ich - Ich - Ich da sieht man mal wieder ihren scheiß Egoismus. Also hat sie mir etwas vorgespielt, sie hat mich nie geliebt, bei all dem, was ich für sie getan habe oder tuen würde. Das ist bitter. Wie konnte ich so blind sein? Habe ich mir selbst etwas vorgemacht? Und dieses kack Unabhängig dreimal zu wiederholen, was soll das? Meint sie ich hab ihr irgendwelche Freiheiten genommen? Meint sie vielleicht, dass ich Oberflächlich bin? Was war der Grund warum ich sie mich nicht lieben kann? Weiter im Text.

" Joern. Arno und ich werden heiraten. Wir planen eine große Familie. Wir wollen, und das wirst du sowieso nicht verstehen, in einer Kommune mit Gleichgesinnten Leben."

Moment mal, Gleichgesinnte, sind wir hier bei Winnetou oder was? Und was zum Teufel heißt Kommune? Ist das so ein Sektending? Hat sie nicht am Anfang gesagt, damit ICH es endlich mal raffe? Jetzt check ich nichts mehr. Kranker Shit.

" Joern. Das sich mein Leben so grundlegend verändert hat, hat folgende Gründe. Arno ist nicht nur bald mein Mann, sondern auch mein Dom. Ich erfülle einen Subvertrag und das möchte ich dir klar machen, damit du endlich verstehst, dass deine Versuche zwecklos sind. Er darf über mich bestimmen und aus diesem Grund schreibe ich dir, Arno will das so. Er sagts, ich mache. Verstehst du? Ich mache es aber auch, weil ich es will, weil es mich befriedigt ihn zu befriedigen. Denn Arno ist im Gegensatz zu dir ein echter Mann, Arno weiß genau was er will. Du warst nett, mehr aber auch nicht."

In was für eine bekloppte Geschichte, bin ich hier bitte hinein geraten? Dom? Subvertrag? Das soll Liebe sein? Ich bin im falschen Film. Und ich bin ich nicht Männlich genug? Sie meint wohl dominant. Ich hab den Mist mal gegoogelt. Dazu muss ich sagen, dass das heutzutage wohl nicht selten praktiziert wird. Doch für mich hat das alles nichts mit Liebe zu tun, dass machen Menschen denen eindeutig etwas fehlt. Er ist also der Dominante und sie seine Sklavin bzw. Sub. Alter, was ist mit dem Mädchen los? Wir sind doch hier nicht bei Shades of Grey, der Typ trägt ein Nachthemd und keinen Versaceanzug. Und zu mir sagt sie, ich sei krank. Ein perverses Schwein?! So langsam Frage ich mich, wer hier endlich mal etwas verstehen muss. So etwas kann man doch nicht sein Leben lang mitmachen. Die will ihn heiraten! Und "Unabhängig" ist hier gar nichts. Die hat nen Schaden, wenn ich das mal so sagen darf. Habe ich mich wirklich so sehr in ihr getäuscht? Ich laufe ihr Jahre hinterher und weiß nichtmal wer sie ist? Das lähmt meinen ganzen Körper, das reist mir mein Herz raus. Ich bin einer in meiner Fantasie erschaffenen Illusion gefolgt. Das ist Würdelos und tragisch. Ich zweifle nun wirklich an mir selbst. Wie konnte mir das passieren? Zum Schluss noch.

"Joern. Ich bitte dich also, dich von mir physisch und mental komplett zu lösen, damit der spirituellen Verbundenheit zwischen mir und Arno keinerlei Barrieren im Weg stehen. Du wirst es verstehen! Tschüß Maya"

Anscheinend hat sich ihr Hirn aufgelöst. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Das trifft mich echt, obwohl es lustig klingt. Ich glaub es wird wirklich Zeit, dass ich ein Mann werde und mich nicht mehr von so einem Mist runterziehen lasse. Die wahre Liebe gibt es hier in der Realität und nicht in irgendeiner abgespackten Kommune oder während des Prozesses des Vegetierens. Ich muss zurück auf die Straße, egal ob bei Tag oder Nacht. Gut das ich kein Reh bin und aus solchen Zusammenstößen lernen kann. Soll sie doch mit ihrem dominanten Nachthemdträger Arno glücklich werden. Die Sub ist abgefahren und mich wird es nicht nochmal so leicht erwischen. Danke liebes Tagebuch.