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Montag, 23. April 2012

Keep it simple stupid


Australian Football. Paterson Stadium. Perth Oval. Eine Sportart, die in Europa kaum jemand wahrnimmt. In Australien ist es neben Cricket der Nummer eins Sport. Für die Unwissenden eine Kombination aus Fußball, Handball und Rugby. Es soll aber ursprünglich von einer Sportart der australischen Ureinwohner abstammen. Ich arbeite dort für Mustard Catering. An den Job kam ich eher durch Zufall, denn zu Beginn der Aussie Rules Saison rekrutiert Mustard tausende Studenten im ganzen Land, die so ihre knappen Kassen etwas aufbessern können. Viele der neuen Mitarbeiter kommen aus dem Ausland, aus Orten und Ländern, von denen ich trotz Erdkunde im Abi noch nie gehört habe. Der Großteil meiner Kollegen stammt aus dem asiatischen Raum, aus sogenannten ´developing countries´. Dank meines Erdkundeunterrichts weiß ich, dass der Begriff „Entwicklungsland“ heutzutage nicht mehr zutreffend ist, wenn man allein die Weltmacht China betrachtet, versteht man diese Änderung. Nichts desto trotz Leben viele Menschen in diesen Ländern in Armut. Einige wenige haben das Glück und die Möglichkeit im entwickelten Ausland , in diesem Falle Australien, Fuss zu fassen, die Sprache zu lernen oder Arbeit zu finden.
Der erste Tag bei Mustard Catering begann mit einer Informationveranstaltung. Etwa 300 Gleichgesinnte fanden sich an diesen Tag in einem Tagungssaal ein, welches mich etwas an eine Scientology Rekrutierungsstunde erinnert hat. Nachdem uns die Firmenphilosophie indoktriniert wurde, die amüsanterweise „keep it simple stupid“ oder kurz „kiss“ lautet, durften wir auch einen Blick hinter die Kulissen werfen. Der Spruch trifft unglücklicherweise nicht nur auf die Arbeitsmoral, sondern auch auf viele der Supervisor zu. Nach der Einführung wird einem schnell Bewusst, wie viel Arbeit in einem solchen Stadion steckt. Am Abend hat mir dann einer der Manager angeboten am nächsten Tag mit einer Schicht während einer Cocktailparty zu starten. Andere mussten erst zwei Wochen auf die Bestätigung ihrer Unterlagen warten. Einzige Bedingung für mich, ein paar schwarze Schuhe und eine schwarze Stoffhose, die leider nicht zu meinem Inventar gehörten. Da ich zu dieser Zeit noch am Englischkurs teilgenommen habe, blieben mir nach der Schule am folgenden Tag circa 25 Minuten um meine neue Arbeitskleidung zu besorgen. Problem Nummer eins; in welchem der vielen Geschäfte in Perth finde ich auf die schnelle die passende Kleidung? Probelm Nummer zwei; welche Größe brauche ich? Problem Nummer drei, der Preis muss stimmen. Fündig wurde ich dann letztendlich beim australischen Äquivalent von Kick, Target. Keep it simple stupid. Das mit dem simple hat mir dann nicht mehr so gut gefallen, als ich in der Umkleidekabine im Stadion meine Arbeitsmontur zum ersten Mal angelegt habe. Eine Hose in der passenden Länge hatte ich, nur hätte von der Weite mit Sicherheit nocheinmal  eine Person mit hineingepasst. Doppelt lang, heißt also auch doppelt weit. Die Schuhe. Der Hammer. Ich bin mir sicher, dass man sie auch als Hammer benutzen kann. Die Sole erinnert mich an die 90er Buffalo Plateauschuhe, wer vermisst sie nicht?  Ich begnüge mich in diesem Fall mit der 2012er noname Variante. Ergebnis. Ich sehe aus wie ein 90er Jahre HipHopFan, der bei einem Trauerzug seinem Style in Schwarz treu bleibt. Aufeinmal wird mir klar, was die Freundin im Fettes Brot Song „ Jein“ dazu veranlasst hat in die Südsee zu fliehen oder, warum sie weg ist und er wieder allein, allein ist. Der Style geht garnicht. Wer gedacht hat, dass das alles ist, der hat nicht an die schmucke Arbeitsjacke in weiß gedacht, die auch dazu gehört. Die Vorlangen zu dieser Jacke, müssen vom gleichen Designer stammen, der auch die Hose entworfen hat. Doppelte Länge, bedeutet auch doppelte Weite. Ich sehe aus wie der größte Idiot. Jetzt noch wasserstoffblonde Haare und ich wäre der König auf jeder 90er Jahre Trashparty. Keep it simple stupid. „Keep it stupid“ würde in diesem Fall wohl besser passen.
Meine erste Aufgabe. Wein servieren. Für mich als stadtbekannter Weinkenner natürlich keine Herausforderung. Meine Antwort auf die Frage, welche Weine wir denn zur Auswahl hätten, antworte ich selbstbewusst: „Red and White.“ Natürlich weiß ich, dass dem Kunden mit Sicherheit klar war, dass wir weißen und roten Wein haben, aber mir fehlt in diesem Fall leider die passende Antwort. Deshalb konter ich geschickt mit einer Gegenfrage, „ Welchen Wein wünschen sie denn?“ SSB. Tja, Marc so viel zu deiner tollen Idee. Was ist SSB?  Um mir keine Blöße geben zu müssen, schnappe ich mir einfach die nächste Weißweinflasche. Da es warm ist und noch kein Essen serviert wurde, gehe ich mal von Weißwein aus. Jetzt nur noch hoffen, dass meine Unwissenheit nicht auffällt und, dass es sich bei meinem Gegenüber nicht um einen Weinliebhaber handelt. Keine Klagen. Glück gehabt. Nach einer Stunde habe ich dann auf alle Fragen eine passende Antwort herausgearbeitet und mich mit den verschiedenen Weinen vertraut gemacht. Der erste Abend verlief also ohne große Zwischenfälle und man war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Keep it simple stupid.
Am Gameday oder Spieltag arbeite ich im Billy Walker Room, der größte Raum im Stadion, in dem Vereinsmitglieder vor und während des Spiels versorgt werden. Meine Qualifikation. Ich kann bis zehn zählen, befördert mich direkt zur Arbeit an der Kasse. Bestellung annehmen, Flasche aufmachen, eintippen und Geld verarbeiten. Gewohnte Arbeit und ich muss nichtmal Kopfrechnen, das macht die Kasse für mich. Mein nächstes Abifach, dass mir nicht wirklich weiter hilft. Mathe. Halb so wild. Das Problem, welches dort auf mich trifft hat nichts mit Mathe oder Erdkunde zu tun, auch Deutsch und Geschichte helfen mir hier auch nicht weiter. Englisch? Nein. Es ist der australische Akzent. Einige der Herren nuscheln sich derart in den rechten Backenzahn, dass Corona und Crowni nicht mehr zu unterscheiden sind. Das Problem habe nicht nur ich, auch Australier untereinander verstehen sich in diesem Fall nicht. Was jedoch besonders schwer fällt ist, den armen Herren klar zu machen, dass man pro Person nur vier alkoholische Getränke kaufen darf. So schreibt es das Gesetzt. Was ungemütlich wird, wenn die vier Bier, die man geöffnet hat keine Crowni´s sondern Corona sind. Ich frage mich immer, wie groß die Chance wäre, so ein Gesetzt auf einem deutschen Schützenfest durchzusetzen. „Vier Pils. Das istn Scherz! Bei fuffzig könnt ich das verstehn!“ Apropo Schützenfest. Mein Supervisor. Ken. Netter Typ. Australia. Gefühlte 80 Burnouts. Ist schon vor dem Spiel immer völlig ausgebrannt. Allein vom zugucken bekomme ich einen Tinitus auf dem linken Ohr, weil ich mir das rumgehampel nicht angucken kann. So viel zu „Keep it simple stupid“. Der arme Mann vergisst alle fünf Meter, was er machen wollte. Ich habe ihm dann letzte Woche, um ihn etwas zu beruhigen, einen Zettel und einen Stift in die Hand gedrückt, damit er sich eine ´to-do Liste`machen kann. Das hat gefühlte drei Minuten echt gut geklappt, dann hat er den Stift verlegt. Kurz vor dem Feierabend klopft er mir immer lobend auf die Schulter, „bloody good work mate, same as usual“. Ich habe mich mal ironischer Weise gefragt, wie er wohl mit einem Schützenfest im Kreis Paderborn umgehen würde, wenn der Oberst zum Freibier ausruft. Das wäre hier wohl mit dem Stress zu vergleichen, wenn an Kasse 3 keine Zitronenscheiben liegen oder die Eiswürfel zu kalt sind. So simple stupid.
Im besten gefallen mir jedoch die Ruhephasen. In Deutschland würde dich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme schon beschäftigen. In Australien muss man sich verstecken, damit einen auch keiner beim rumstehen erwischt. Da kommen bei mir Gefühle aus der Ausbildung wieder hoch, nur das mir dort niemand vorgeschrieben hat mich zu verstecken.
Gelegentlich darf ich dann auch mal unter der Woche arbeiten. Die Arbeitsmoral und Produktivität ist mit einem EinEurojober nach einer durchzechten Nacht zu vergleichen. Nach zwei Monaten habe ich das System dann durchschaut. Alle Mitarbeiter, die ein wenig Ahnung haben was zu machen ist, hören einfach auf die Leute, die keine Ahnung haben. Positiver Effekt, man hat mehr Stunden auf seinem Konto. Es zahlt sich also aus wenn man pro Stunde wird. Ich gebe jedoch hin und wieder mal einen Tip, damit ich nicht zum zehnten mal in den gleichen Raum laufen muss. Andere ziehen ihr System knallhart durch. Keep it simple stupid. Dieser Satz hat sich bei mir eingebrannt, nachdem ich drei Monate mit „simple stupids“ zusammengearbeitet habe.

Dienstag, 10. April 2012

Die Stadt der Liebe


Brasilien. Sao Paulo. Aufgewachsen in einer Millionenstadt, in einem Land, das nicht allen die gleichen Möglichkeiten bietet. Ein Problem. Seine Hautfarbe. Sein Informatikstudium schließt er als einer der Besten ab. Neben der Uni arbeitet er in einer kleinen Bar, für nichtmal drei Euro die Stunde. Spart jeden Cent. Nach seinem Studium, sind für ihn viele Türen verschlossen.  Findet zunächst keinen Job. Die, die ihm in dieser Zeit halt gibt, ist seine Freundin. Seinen Beschreibungen nach ist sie die schönste Frau der Welt. Eine Frau die das Optimum aller Eigenschaften in einem vereint. Sie ist die perfekte Kombination aus intelligent und sexy. Die Reinkanation einer brasilianischen Göttin. Ich beneide ihn dafür, soetwas gefunden zu haben. Sie lässt ihn gehen, als er sich entscheidet in Perth eine neue Sprache zu lernen, um seine Jobchancen zu erhöhen.
Er verspricht ihr zurückzukommen. Sie verspricht ihm, zu warten.  Es ist die Große Liebe.
Er will nicht bleiben, er will zurück. Zurück zu ihr. Sie hofft darauf, dass er zurückkommt. Sie will nicht gehen, sie will warten. Er geht und lässt sie zurück.
Mit 26 Jahren entscheidet er sich, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Sein Optimismus wird jedoch schnell gebremst. Als er in Perth ankommt, versteht er die neue Sprache nicht. Er muss von ganz vorne anfangen. Jedes Wort ist für ihn ein Hinderniss. Es scheint unüberwindbar, wieder gibt ihm seine Freundin kraft. Sie vermisst ihn, sagt, dass sie auf ihn wartet, fragt ihn täglich wann er nach Hause kommt. Seine Antwort lautet immer, wenn ich die Sprache spreche. Sie akzeptiert es, weil sie ihn liebt. Zunächst hält er sich an andere Brasilianer, die ihm helfen zurechtzukommen. Er merkt aber schon bald, dass er sich so nicht in der Sprache entwickelt. Er sucht sich einen Job, spart etwas Geld und beginnt einen Sprachkurs. Durch fleiß und viel Arbeit verbessert er sich schnell. Hier, treffe ich auf ihn.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Die Gefühle für seine Freundin beschreibt er auf diese Weise, „ Marc, stell dir vor, du bist auf einem Konzert, um dich herum 120000 Menschen. Die Band spielt ein Lied und alle stimmen ein. Die Atmosphäre reißt dich mit. Du hast das Gefühl, dass du fliegst. Du schließt die Augen. Sie nimmt deine Hand und aufeinmal seid ihr ganz allein. Allein, zwischen tausenden von Menschen und du denkst, dass das Lied nur für euch gespielt wird. „Without you“ ist das Lied, dass für ihn gespielt wird. Ich höre ihn seit Wochen immer wieder das gleiche Lied singen und ich weiß, dass er daher seine Kraft schöpft. Er spart wieder jeden Cent für einen Flug, um nicht mehr ohne sie zu sein.

Kolumbien. Bogota. Eine andere Millionenstadt. Ein Land, das beherrscht wird von Drogenkartellen und Korruption. Ohne die richtigen Leute zu kennen, gibt es keinen Weg nach Oben. Sein Vater ist Anwalt und er hat drei beruflich erfolgreiche Schwestern. Er ist Ingeneur. Ingeneur mit einem Job, der gerade so zum Überleben reicht. Es gibt zu viele. Er hört, dass der Miningboom in Western Australia viele Jobchancen für junge Ingeneure verspricht. Der Druck den sein Vater auf ihn ausübt bringt ihn bald dazu sein Glück in Down Under zu suchen. Er hofft, dass die rote Erde eine goldene Zukunft für ihn bereit hält. Auch er spricht die Sprache nicht, als er in Perth ankommt. Auf der Suche nach Gleichgesinnten, verliebt er sich in eine Brasilianerin. Er weicht nicht mehr von ihrer Seite, sie verbringen jeden Tag und jede Nacht zusammen. Sein Englisch verbessert sich kaum. Dafür spricht er nach einem Jahr fließend Portugiesisch. Sie fühlt sich nicht wohl in Perth. Versteht die Sprache nicht und zeigt auch keine Ambitionen, die Sprache zu lernen. Sein Ziel einen Job zu finden, hat er beinahe aufgegeben. Sie verlangt seine voll Aufmerksamkeit. Als sie ihn fragt, ob er mit ihr zurück nach Brasilien geht, sagt er ja. Er liebt sie, er will sie nicht verlieren, er nimmt eine neue Herausforderung an.  Beginnt wieder ein neues Leben in einem anderen Land. Er gibt seinen Traum von einem Leben in Australien auf, um einen anderen Traum zu verwirklichen. Die große Liebe.
In Brasilien entwickelt sich jedoch alles anders. Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft verblasst bald. Sie verändert sich, kontrolliert ihn, spoiniert ihm nach, erfindet Geschichten und räumt sein Konto leer. Mit seinem letzten Geld kauft er ein Flugticket. Er flieht. Nach Hause kann er nicht, dafür ist die Schande zu groß. Er kehrt zurück nach Perth. Diesmal will er sich von seinem Ziel nicht abbringen lassen. Durch Putzen finanziert er sich seinen Sprachkurs. Hier treffe ich auf ihn.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Er sagt, dass er keine Sekunde seiner Beziehung bereut und er für die richtige Frau das gleiche Risiko nocheinmal eingehen würde. Ich verstehe nicht ganz, denn ich habe immer versucht für diesem Risiko zu fliehen. Er erklärt mir, dass er eines aus der ganzen Sache gelernt hat und das ist, „nicht zurück zu schauen, sich selbst eine zweite Chance zu geben, denn es ist nicht Geld was dich glücklich macht. Das Gefühl jemanden zu lieben und geliebt zu werden, ist das mächtigste aller Gefühle. Das ist was ich will.“ Der Satz, „Glück kann man nicht kaufen“, bekommt hier für mich eine neue Bedeutung.

Frankreich. Reunion. Eine französiche Kolonie, bei Mauritius. Eine Insel mit einer hohen Arbeitlosenquote. Seine Eltern arbeiten in der Landwirtschaft. Das Leben ist hart. Arbeit bedeutet überleben. Für Gefühle bleibt wenig Zeit. Er ist ein Problemkind. Mit 17 Jahren schicken ihn seine Eltern nach Perth zu seinem Bruder, mit der Hoffnung, dass ihm die Veränderung gut tut. Es funktioniert. Er entwickelt sich, er lernt die Sprache und findet einen Job. Er sucht sich eine eigene Wohnung, wird selbstständig und erwachsen. Doch er ist einsam, vermisst seine Familie. Sein Bruder hat wenig Zeit. Zu seinem Glück, verliebt er sich. In eine Australierin. Er tut alles für sie. Sie scheint ihm das zu geben, was ihm immer gefehlt hat. Er fängt an, sein Leben zu genießen. Alles passt perfekt zusammen. Sie planen ihre Zukunft und wollen heiraten, um für immer  zusammen zu sein.
Sie verlässt ihn. Ohne Vorwahrnung. Er verliert den Boden unter den Füßen. Er verliert seinen Job. Sein Visum läuft aus.  Er muss zurück. In eine Zukunft ohne Zukunft. Seine einzige Möglichkeit, ein Sprachkurs über 20 Wochen, der seinen Aufenthalt verlängert, bis er einen anderen Weg findet. Hier treffe ich auf ihn.
Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Er sagt, „ egal wie verletzt ich bin, zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich besonders Gefühlt. Ich will dieses Gefühl noch einmal empfinden und gebe deshalb nicht auf. Egal, wie schlimm die Erfahrung für mich war,  um die wahre Liebe zu finden, nehme ich es in Kauf verletzt zu werden. Nur wenn man mit reinem Herzen liebt, versteht man was Liebe ist.“

Deutschland. Paderborn. Kleine Großstadt. Hier sagen sich Hase und Igel gute Nacht. Nach der Ausbildung und dem Abitur, fliegt er nach Perth, um die Sprache zu lernen. Beim Thema Liebe will nicht von sich sprechen, er will nur zuhören. Er will das Leben lesen. Seine Geschichten sind ein anderes Kapitel. Vielleicht Schwieriger. Um ihn zu verstehen, muss man sich Zeit nehmen. In erster Linie ist er Zuhörer und Berichterstatter. Die Liebe im Sicherheitsabstand.  Hier ist er Vorsichtig. Er macht einen Sprachkurs, um die Sprache besser zu verstehen. Hier trifft er sie.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind alle interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Sie erzählen mir ihre Geschichte. Sie sind einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der sie über die Liebe sprechen. Es ist nicht nur eine neue Sprache, die ich lerne, ich begreife auch, dass die Sprache der Liebe, die Sprache ist, die wir alle verstehen. Egal aus welchem Teil der Erde man stammt, das  Herz sitzt immer am gleichen Fleck. Ich höre viele unterschiedliche Geschichten, doch ihr Medium besteht meist aus der gleichen Substanz.  Es ist faszinierend, dass es Männer sind, die so offen in dieser Sprache sprechen. Einfach mal richtig hinzuhören und sich Zeit zu nehmen, würde vielleicht alles ein wenig leichter machen, denn wie gesagt: „ Es ist die Sprache, die wir alle verstehen.“

Perth. Australien. Die Stadt, der Liebe. Die Stadt, der tausend Abenteuer.  Die Stadt, der Lehren. Die isolierteste Stadt der Welt. Die Stadt, die Geschichten schreibt.

Dienstag, 3. April 2012

Freunde kommen, Freunde gehen


Es ist vier Uhr in der Früh. Im Blue Moon. Ich sitze mit einem Glas Wein an einem Eichentisch und stoße auf Saulos letzte Stunden in Perth an. Es war sein letzter Tag und seine letzte Nacht. Ein sehr besonderer Abschnitt seines Lebens nimmt heute sein Ende. Ein Ende soll auch immer ein Anfang sein. Die Frage, die sich mir stellt, ist: „Ist eine Rückkehr in ein altes Leben wirklich ein Anfang?“ Seine Geschichte fand seinen Anfang, genau wie meine, in dem Wunsch etwas neues zu erleben, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Welche Richtung weiß man nicht? Man weiß, dass es vorwärts geht und schaut deshalb selten zurück. Heute ist es anders. Wir schauen zurück, denn es geht zurück. Zurück in ein altes Leben. Sechsundzwanzig Stunden liegen nun zwischen seinem aufregendem Leben in Perth und seinem alten Leben in Kolumbien. Wehmut. Trauer. Freude. Zaubern eine ganz besondere Stimmung. Eine Stimmung, in denen alle für kurze Zeit verstummen und in Gedanken versinken. Es ist Saulo, der sein Glas erhebt und Danke sagt. Er dankt uns für diesen einzigartigen letzten Tag und blickt zurück, denn es war die schönste Zeit seines Lebens.
An seinem letzten Tag.
Ich nehme den Zug in die Stadt. Saulo und drei seiner Freunde warten bereits auf mich, um gemeinsam für sein Abschieds-BBQ einkaufen zu gehen. Wir kaufen reichlich. Zu diesem Zeitpunkt tut mir Saulo leid, denn ich hatte erwartet, dass mehr Leute kommen. Es sind fünf, die sich auf den Weg zum City Beach machen. Am City Beach gibt es öffentliche Grillstationen, an denen Familien und Freunde oft ihre Samstagabende verbringen. Es sind knapp vierzig Grad auf dem Thermometer. Das Bier, das ich in meinen Armen transportiere wird zum verlockendem Gut. Leider ist es in Australien nicht erlaubt in der Öffentlichkeit zu trinken. Sehnsüchtige Blicke quälen uns diesem Grund, bis wir den Strand erreichen an dem wir in aller Abgeschiedenheit ein kühles Bier genießen können. Doch was ich nicht erwartet hatte ereignet sich nun.
Aus allen Richtungen strömen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Alle kommen um am BBQ teilzunehmen und um sich von Saulo zu verabschieden. Es liegen nun nicht nur auf dem Grill Speißen unterschiedlichster Nationen, auch um den Grill bewegt sich eine Vielfallt von Kostbarkeiten aus aller Herren Länder. Italiener. Griechen. Polen. Franzosen. Esten. Brasilianer. Kolumbianer. Chilenen. Japaner. Chinesen. Australier. Spanier. Russen. Kenianer. Und ein Deutscher. Ich.
Alle verbindet eines, die Aussicht, irgendwann wieder in ein altes Leben zurückkehren zu müssen. Wieder werde ich überflutet von neuen Eindrücken. Wieder geschieht etwas, welches ich nicht erwartet habe. Ich bin begeistert von all den neuen Geschichten. Wir tauschen Gedanken und Eindrücke aus. Wir sprechen über unser Leben und unsere Länder. Wir verstehen uns. Wir sprechen über all dies in einer Sprache, die nicht unsere eigene ist. Englisch. Es wird aufeinmal klar, wie Mächtig das Medium Sprache ist. Denn wir verstehen uns. Es ist einzigartig. Es ist beinahe unbeschreiblich. Ich fühle mich wie Lord Chandos, dem die Fähigkeit abhanden kommt seine Gedanken in Worte zu fassen. Wir stehen dort in unseren Badehosen mit einem Bier in der Hand und führen Gespräche mit fremden Menschen. Menschen mit fünfzehn verschiedenen Nationalitäten. Von Rassismus, Zweifeln, Streit oder Arroganz ist keine Spur. Alle sind gleich. Es spielt keine Rolle welche Farbe deine Haut hat oder welche Sprache du sprichst. Wir sind alle Fremde in einem Land, das nicht unser eigenes ist. Wir alle sprechen eine Sprache, die nicht unsere eigene ist. So stehen wir da. Beinahe nackt und alles was wir repräsentieren ist unsere Persönlichkeit. Für Japaner, Chinesen, Kolumbianer oder Brasilianer spielt es keine große Rolle, ob du Deutscher bist. Du kommst aus Europa. Du bist Europäer. - Doch was sind wir Deutschen? - Sind wir Europäer. Sind Spanier, Italiener, Französen, Polen und Griechen Europäer? Schaut man von Australien nach Europa und verfolgt die Nachrichten, gibt es keine Europäer. Es gibt Deutsche, Polen, Griechen, Franzosen und Italiener, die Europäer sein wollen, aber keine sind. Hier in Perth jedoch, gibt es Europäer. Stolze Europäer. Europäer mit einer gemeinsamen Geschichte. Ich stehe in der Mitte, um mich herum all diese Länder. In der gleichen Position, in der sich Deutschland auf der Weltkarte befindet. Der Unterschied, es gibt keine offenen Grenzen. Es gibt keine Grenzen. Es gibt viele Fragen. Es gibt nicht immer eine Antwort. Doch es gibt Kompromisse. Es ist kein Überlebenskampf, kein Kampf in dem man seine Nation verteidigen muss, welches als Deutscher immer etwas Fingerspitzengefühl verlangt. Es ist ein respektvoller Austausch, es ist ein Blickwechsel und es ist Freundschaft, die alle verbindet. Wir reden und feiern die ganze Nacht. Wir lachen. Wir haben Spaß. Wir teilen unser Leben.
Für Saulo war dies die schönste Zeit seines Lebens. Wer hätte gedacht, dass ein einfaches BBQ unter Freunden aus einer entfernteren Perspektive betrachtet etwas so bedeutungsvolles sein kann? Nun stellt sich die Frage nicht mehr, „ob eine Rückkehr ein Anfang ist.“ Jeder Tag, jede Minute, jede Sekunde ist ein Anfang. Jeder Schritt, den man auf einen anderen Menschen zu geht, ist ein Anfang. Jeder Wunsch nach Veränderung ist ein Anfang. Die Verantwortung dafür tragen wir selbst. Jede Rückkehr ist ein Anfang.
Für mich ist dies hier ein Anfang um wirklich verstehen zu können, wie wertvoll das Leben ist.  Ich weiß das nach meiner Rückkehr meine Familie und Freunde mit einem neuen Anfang auf mich warten. Deshalb liegt mir viel daran, all die neuen und beeindruckenden Dinge, die ich hier erlebe mit ihnen zu teilen. Damit mit man mich nicht falsch versteht, das heißt nicht, dass man ein neues Leben in einem anderen Land beginnen soll. Es geht mir eher darum, dass Gefühl zu vermitteln, was es heißt seine Rasse, seine Nationalität oder eingeschränkte Sicht mal kurz zu vergessen. Um sich zu öffnen, seine Persönlichkeit zu zeigen, um neues zu erfahren und zu erleben.
Um aus einer kleinen Welt, eine große zu machen.
Anfang.