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Montag, 23. April 2012

Keep it simple stupid


Australian Football. Paterson Stadium. Perth Oval. Eine Sportart, die in Europa kaum jemand wahrnimmt. In Australien ist es neben Cricket der Nummer eins Sport. Für die Unwissenden eine Kombination aus Fußball, Handball und Rugby. Es soll aber ursprünglich von einer Sportart der australischen Ureinwohner abstammen. Ich arbeite dort für Mustard Catering. An den Job kam ich eher durch Zufall, denn zu Beginn der Aussie Rules Saison rekrutiert Mustard tausende Studenten im ganzen Land, die so ihre knappen Kassen etwas aufbessern können. Viele der neuen Mitarbeiter kommen aus dem Ausland, aus Orten und Ländern, von denen ich trotz Erdkunde im Abi noch nie gehört habe. Der Großteil meiner Kollegen stammt aus dem asiatischen Raum, aus sogenannten ´developing countries´. Dank meines Erdkundeunterrichts weiß ich, dass der Begriff „Entwicklungsland“ heutzutage nicht mehr zutreffend ist, wenn man allein die Weltmacht China betrachtet, versteht man diese Änderung. Nichts desto trotz Leben viele Menschen in diesen Ländern in Armut. Einige wenige haben das Glück und die Möglichkeit im entwickelten Ausland , in diesem Falle Australien, Fuss zu fassen, die Sprache zu lernen oder Arbeit zu finden.
Der erste Tag bei Mustard Catering begann mit einer Informationveranstaltung. Etwa 300 Gleichgesinnte fanden sich an diesen Tag in einem Tagungssaal ein, welches mich etwas an eine Scientology Rekrutierungsstunde erinnert hat. Nachdem uns die Firmenphilosophie indoktriniert wurde, die amüsanterweise „keep it simple stupid“ oder kurz „kiss“ lautet, durften wir auch einen Blick hinter die Kulissen werfen. Der Spruch trifft unglücklicherweise nicht nur auf die Arbeitsmoral, sondern auch auf viele der Supervisor zu. Nach der Einführung wird einem schnell Bewusst, wie viel Arbeit in einem solchen Stadion steckt. Am Abend hat mir dann einer der Manager angeboten am nächsten Tag mit einer Schicht während einer Cocktailparty zu starten. Andere mussten erst zwei Wochen auf die Bestätigung ihrer Unterlagen warten. Einzige Bedingung für mich, ein paar schwarze Schuhe und eine schwarze Stoffhose, die leider nicht zu meinem Inventar gehörten. Da ich zu dieser Zeit noch am Englischkurs teilgenommen habe, blieben mir nach der Schule am folgenden Tag circa 25 Minuten um meine neue Arbeitskleidung zu besorgen. Problem Nummer eins; in welchem der vielen Geschäfte in Perth finde ich auf die schnelle die passende Kleidung? Probelm Nummer zwei; welche Größe brauche ich? Problem Nummer drei, der Preis muss stimmen. Fündig wurde ich dann letztendlich beim australischen Äquivalent von Kick, Target. Keep it simple stupid. Das mit dem simple hat mir dann nicht mehr so gut gefallen, als ich in der Umkleidekabine im Stadion meine Arbeitsmontur zum ersten Mal angelegt habe. Eine Hose in der passenden Länge hatte ich, nur hätte von der Weite mit Sicherheit nocheinmal  eine Person mit hineingepasst. Doppelt lang, heißt also auch doppelt weit. Die Schuhe. Der Hammer. Ich bin mir sicher, dass man sie auch als Hammer benutzen kann. Die Sole erinnert mich an die 90er Buffalo Plateauschuhe, wer vermisst sie nicht?  Ich begnüge mich in diesem Fall mit der 2012er noname Variante. Ergebnis. Ich sehe aus wie ein 90er Jahre HipHopFan, der bei einem Trauerzug seinem Style in Schwarz treu bleibt. Aufeinmal wird mir klar, was die Freundin im Fettes Brot Song „ Jein“ dazu veranlasst hat in die Südsee zu fliehen oder, warum sie weg ist und er wieder allein, allein ist. Der Style geht garnicht. Wer gedacht hat, dass das alles ist, der hat nicht an die schmucke Arbeitsjacke in weiß gedacht, die auch dazu gehört. Die Vorlangen zu dieser Jacke, müssen vom gleichen Designer stammen, der auch die Hose entworfen hat. Doppelte Länge, bedeutet auch doppelte Weite. Ich sehe aus wie der größte Idiot. Jetzt noch wasserstoffblonde Haare und ich wäre der König auf jeder 90er Jahre Trashparty. Keep it simple stupid. „Keep it stupid“ würde in diesem Fall wohl besser passen.
Meine erste Aufgabe. Wein servieren. Für mich als stadtbekannter Weinkenner natürlich keine Herausforderung. Meine Antwort auf die Frage, welche Weine wir denn zur Auswahl hätten, antworte ich selbstbewusst: „Red and White.“ Natürlich weiß ich, dass dem Kunden mit Sicherheit klar war, dass wir weißen und roten Wein haben, aber mir fehlt in diesem Fall leider die passende Antwort. Deshalb konter ich geschickt mit einer Gegenfrage, „ Welchen Wein wünschen sie denn?“ SSB. Tja, Marc so viel zu deiner tollen Idee. Was ist SSB?  Um mir keine Blöße geben zu müssen, schnappe ich mir einfach die nächste Weißweinflasche. Da es warm ist und noch kein Essen serviert wurde, gehe ich mal von Weißwein aus. Jetzt nur noch hoffen, dass meine Unwissenheit nicht auffällt und, dass es sich bei meinem Gegenüber nicht um einen Weinliebhaber handelt. Keine Klagen. Glück gehabt. Nach einer Stunde habe ich dann auf alle Fragen eine passende Antwort herausgearbeitet und mich mit den verschiedenen Weinen vertraut gemacht. Der erste Abend verlief also ohne große Zwischenfälle und man war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Keep it simple stupid.
Am Gameday oder Spieltag arbeite ich im Billy Walker Room, der größte Raum im Stadion, in dem Vereinsmitglieder vor und während des Spiels versorgt werden. Meine Qualifikation. Ich kann bis zehn zählen, befördert mich direkt zur Arbeit an der Kasse. Bestellung annehmen, Flasche aufmachen, eintippen und Geld verarbeiten. Gewohnte Arbeit und ich muss nichtmal Kopfrechnen, das macht die Kasse für mich. Mein nächstes Abifach, dass mir nicht wirklich weiter hilft. Mathe. Halb so wild. Das Problem, welches dort auf mich trifft hat nichts mit Mathe oder Erdkunde zu tun, auch Deutsch und Geschichte helfen mir hier auch nicht weiter. Englisch? Nein. Es ist der australische Akzent. Einige der Herren nuscheln sich derart in den rechten Backenzahn, dass Corona und Crowni nicht mehr zu unterscheiden sind. Das Problem habe nicht nur ich, auch Australier untereinander verstehen sich in diesem Fall nicht. Was jedoch besonders schwer fällt ist, den armen Herren klar zu machen, dass man pro Person nur vier alkoholische Getränke kaufen darf. So schreibt es das Gesetzt. Was ungemütlich wird, wenn die vier Bier, die man geöffnet hat keine Crowni´s sondern Corona sind. Ich frage mich immer, wie groß die Chance wäre, so ein Gesetzt auf einem deutschen Schützenfest durchzusetzen. „Vier Pils. Das istn Scherz! Bei fuffzig könnt ich das verstehn!“ Apropo Schützenfest. Mein Supervisor. Ken. Netter Typ. Australia. Gefühlte 80 Burnouts. Ist schon vor dem Spiel immer völlig ausgebrannt. Allein vom zugucken bekomme ich einen Tinitus auf dem linken Ohr, weil ich mir das rumgehampel nicht angucken kann. So viel zu „Keep it simple stupid“. Der arme Mann vergisst alle fünf Meter, was er machen wollte. Ich habe ihm dann letzte Woche, um ihn etwas zu beruhigen, einen Zettel und einen Stift in die Hand gedrückt, damit er sich eine ´to-do Liste`machen kann. Das hat gefühlte drei Minuten echt gut geklappt, dann hat er den Stift verlegt. Kurz vor dem Feierabend klopft er mir immer lobend auf die Schulter, „bloody good work mate, same as usual“. Ich habe mich mal ironischer Weise gefragt, wie er wohl mit einem Schützenfest im Kreis Paderborn umgehen würde, wenn der Oberst zum Freibier ausruft. Das wäre hier wohl mit dem Stress zu vergleichen, wenn an Kasse 3 keine Zitronenscheiben liegen oder die Eiswürfel zu kalt sind. So simple stupid.
Im besten gefallen mir jedoch die Ruhephasen. In Deutschland würde dich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme schon beschäftigen. In Australien muss man sich verstecken, damit einen auch keiner beim rumstehen erwischt. Da kommen bei mir Gefühle aus der Ausbildung wieder hoch, nur das mir dort niemand vorgeschrieben hat mich zu verstecken.
Gelegentlich darf ich dann auch mal unter der Woche arbeiten. Die Arbeitsmoral und Produktivität ist mit einem EinEurojober nach einer durchzechten Nacht zu vergleichen. Nach zwei Monaten habe ich das System dann durchschaut. Alle Mitarbeiter, die ein wenig Ahnung haben was zu machen ist, hören einfach auf die Leute, die keine Ahnung haben. Positiver Effekt, man hat mehr Stunden auf seinem Konto. Es zahlt sich also aus wenn man pro Stunde wird. Ich gebe jedoch hin und wieder mal einen Tip, damit ich nicht zum zehnten mal in den gleichen Raum laufen muss. Andere ziehen ihr System knallhart durch. Keep it simple stupid. Dieser Satz hat sich bei mir eingebrannt, nachdem ich drei Monate mit „simple stupids“ zusammengearbeitet habe.

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