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Dienstag, 3. April 2012

Freunde kommen, Freunde gehen


Es ist vier Uhr in der Früh. Im Blue Moon. Ich sitze mit einem Glas Wein an einem Eichentisch und stoße auf Saulos letzte Stunden in Perth an. Es war sein letzter Tag und seine letzte Nacht. Ein sehr besonderer Abschnitt seines Lebens nimmt heute sein Ende. Ein Ende soll auch immer ein Anfang sein. Die Frage, die sich mir stellt, ist: „Ist eine Rückkehr in ein altes Leben wirklich ein Anfang?“ Seine Geschichte fand seinen Anfang, genau wie meine, in dem Wunsch etwas neues zu erleben, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Welche Richtung weiß man nicht? Man weiß, dass es vorwärts geht und schaut deshalb selten zurück. Heute ist es anders. Wir schauen zurück, denn es geht zurück. Zurück in ein altes Leben. Sechsundzwanzig Stunden liegen nun zwischen seinem aufregendem Leben in Perth und seinem alten Leben in Kolumbien. Wehmut. Trauer. Freude. Zaubern eine ganz besondere Stimmung. Eine Stimmung, in denen alle für kurze Zeit verstummen und in Gedanken versinken. Es ist Saulo, der sein Glas erhebt und Danke sagt. Er dankt uns für diesen einzigartigen letzten Tag und blickt zurück, denn es war die schönste Zeit seines Lebens.
An seinem letzten Tag.
Ich nehme den Zug in die Stadt. Saulo und drei seiner Freunde warten bereits auf mich, um gemeinsam für sein Abschieds-BBQ einkaufen zu gehen. Wir kaufen reichlich. Zu diesem Zeitpunkt tut mir Saulo leid, denn ich hatte erwartet, dass mehr Leute kommen. Es sind fünf, die sich auf den Weg zum City Beach machen. Am City Beach gibt es öffentliche Grillstationen, an denen Familien und Freunde oft ihre Samstagabende verbringen. Es sind knapp vierzig Grad auf dem Thermometer. Das Bier, das ich in meinen Armen transportiere wird zum verlockendem Gut. Leider ist es in Australien nicht erlaubt in der Öffentlichkeit zu trinken. Sehnsüchtige Blicke quälen uns diesem Grund, bis wir den Strand erreichen an dem wir in aller Abgeschiedenheit ein kühles Bier genießen können. Doch was ich nicht erwartet hatte ereignet sich nun.
Aus allen Richtungen strömen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Alle kommen um am BBQ teilzunehmen und um sich von Saulo zu verabschieden. Es liegen nun nicht nur auf dem Grill Speißen unterschiedlichster Nationen, auch um den Grill bewegt sich eine Vielfallt von Kostbarkeiten aus aller Herren Länder. Italiener. Griechen. Polen. Franzosen. Esten. Brasilianer. Kolumbianer. Chilenen. Japaner. Chinesen. Australier. Spanier. Russen. Kenianer. Und ein Deutscher. Ich.
Alle verbindet eines, die Aussicht, irgendwann wieder in ein altes Leben zurückkehren zu müssen. Wieder werde ich überflutet von neuen Eindrücken. Wieder geschieht etwas, welches ich nicht erwartet habe. Ich bin begeistert von all den neuen Geschichten. Wir tauschen Gedanken und Eindrücke aus. Wir sprechen über unser Leben und unsere Länder. Wir verstehen uns. Wir sprechen über all dies in einer Sprache, die nicht unsere eigene ist. Englisch. Es wird aufeinmal klar, wie Mächtig das Medium Sprache ist. Denn wir verstehen uns. Es ist einzigartig. Es ist beinahe unbeschreiblich. Ich fühle mich wie Lord Chandos, dem die Fähigkeit abhanden kommt seine Gedanken in Worte zu fassen. Wir stehen dort in unseren Badehosen mit einem Bier in der Hand und führen Gespräche mit fremden Menschen. Menschen mit fünfzehn verschiedenen Nationalitäten. Von Rassismus, Zweifeln, Streit oder Arroganz ist keine Spur. Alle sind gleich. Es spielt keine Rolle welche Farbe deine Haut hat oder welche Sprache du sprichst. Wir sind alle Fremde in einem Land, das nicht unser eigenes ist. Wir alle sprechen eine Sprache, die nicht unsere eigene ist. So stehen wir da. Beinahe nackt und alles was wir repräsentieren ist unsere Persönlichkeit. Für Japaner, Chinesen, Kolumbianer oder Brasilianer spielt es keine große Rolle, ob du Deutscher bist. Du kommst aus Europa. Du bist Europäer. - Doch was sind wir Deutschen? - Sind wir Europäer. Sind Spanier, Italiener, Französen, Polen und Griechen Europäer? Schaut man von Australien nach Europa und verfolgt die Nachrichten, gibt es keine Europäer. Es gibt Deutsche, Polen, Griechen, Franzosen und Italiener, die Europäer sein wollen, aber keine sind. Hier in Perth jedoch, gibt es Europäer. Stolze Europäer. Europäer mit einer gemeinsamen Geschichte. Ich stehe in der Mitte, um mich herum all diese Länder. In der gleichen Position, in der sich Deutschland auf der Weltkarte befindet. Der Unterschied, es gibt keine offenen Grenzen. Es gibt keine Grenzen. Es gibt viele Fragen. Es gibt nicht immer eine Antwort. Doch es gibt Kompromisse. Es ist kein Überlebenskampf, kein Kampf in dem man seine Nation verteidigen muss, welches als Deutscher immer etwas Fingerspitzengefühl verlangt. Es ist ein respektvoller Austausch, es ist ein Blickwechsel und es ist Freundschaft, die alle verbindet. Wir reden und feiern die ganze Nacht. Wir lachen. Wir haben Spaß. Wir teilen unser Leben.
Für Saulo war dies die schönste Zeit seines Lebens. Wer hätte gedacht, dass ein einfaches BBQ unter Freunden aus einer entfernteren Perspektive betrachtet etwas so bedeutungsvolles sein kann? Nun stellt sich die Frage nicht mehr, „ob eine Rückkehr ein Anfang ist.“ Jeder Tag, jede Minute, jede Sekunde ist ein Anfang. Jeder Schritt, den man auf einen anderen Menschen zu geht, ist ein Anfang. Jeder Wunsch nach Veränderung ist ein Anfang. Die Verantwortung dafür tragen wir selbst. Jede Rückkehr ist ein Anfang.
Für mich ist dies hier ein Anfang um wirklich verstehen zu können, wie wertvoll das Leben ist.  Ich weiß das nach meiner Rückkehr meine Familie und Freunde mit einem neuen Anfang auf mich warten. Deshalb liegt mir viel daran, all die neuen und beeindruckenden Dinge, die ich hier erlebe mit ihnen zu teilen. Damit mit man mich nicht falsch versteht, das heißt nicht, dass man ein neues Leben in einem anderen Land beginnen soll. Es geht mir eher darum, dass Gefühl zu vermitteln, was es heißt seine Rasse, seine Nationalität oder eingeschränkte Sicht mal kurz zu vergessen. Um sich zu öffnen, seine Persönlichkeit zu zeigen, um neues zu erfahren und zu erleben.
Um aus einer kleinen Welt, eine große zu machen.
Anfang.

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