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Dienstag, 10. April 2012

Die Stadt der Liebe


Brasilien. Sao Paulo. Aufgewachsen in einer Millionenstadt, in einem Land, das nicht allen die gleichen Möglichkeiten bietet. Ein Problem. Seine Hautfarbe. Sein Informatikstudium schließt er als einer der Besten ab. Neben der Uni arbeitet er in einer kleinen Bar, für nichtmal drei Euro die Stunde. Spart jeden Cent. Nach seinem Studium, sind für ihn viele Türen verschlossen.  Findet zunächst keinen Job. Die, die ihm in dieser Zeit halt gibt, ist seine Freundin. Seinen Beschreibungen nach ist sie die schönste Frau der Welt. Eine Frau die das Optimum aller Eigenschaften in einem vereint. Sie ist die perfekte Kombination aus intelligent und sexy. Die Reinkanation einer brasilianischen Göttin. Ich beneide ihn dafür, soetwas gefunden zu haben. Sie lässt ihn gehen, als er sich entscheidet in Perth eine neue Sprache zu lernen, um seine Jobchancen zu erhöhen.
Er verspricht ihr zurückzukommen. Sie verspricht ihm, zu warten.  Es ist die Große Liebe.
Er will nicht bleiben, er will zurück. Zurück zu ihr. Sie hofft darauf, dass er zurückkommt. Sie will nicht gehen, sie will warten. Er geht und lässt sie zurück.
Mit 26 Jahren entscheidet er sich, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Sein Optimismus wird jedoch schnell gebremst. Als er in Perth ankommt, versteht er die neue Sprache nicht. Er muss von ganz vorne anfangen. Jedes Wort ist für ihn ein Hinderniss. Es scheint unüberwindbar, wieder gibt ihm seine Freundin kraft. Sie vermisst ihn, sagt, dass sie auf ihn wartet, fragt ihn täglich wann er nach Hause kommt. Seine Antwort lautet immer, wenn ich die Sprache spreche. Sie akzeptiert es, weil sie ihn liebt. Zunächst hält er sich an andere Brasilianer, die ihm helfen zurechtzukommen. Er merkt aber schon bald, dass er sich so nicht in der Sprache entwickelt. Er sucht sich einen Job, spart etwas Geld und beginnt einen Sprachkurs. Durch fleiß und viel Arbeit verbessert er sich schnell. Hier, treffe ich auf ihn.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Die Gefühle für seine Freundin beschreibt er auf diese Weise, „ Marc, stell dir vor, du bist auf einem Konzert, um dich herum 120000 Menschen. Die Band spielt ein Lied und alle stimmen ein. Die Atmosphäre reißt dich mit. Du hast das Gefühl, dass du fliegst. Du schließt die Augen. Sie nimmt deine Hand und aufeinmal seid ihr ganz allein. Allein, zwischen tausenden von Menschen und du denkst, dass das Lied nur für euch gespielt wird. „Without you“ ist das Lied, dass für ihn gespielt wird. Ich höre ihn seit Wochen immer wieder das gleiche Lied singen und ich weiß, dass er daher seine Kraft schöpft. Er spart wieder jeden Cent für einen Flug, um nicht mehr ohne sie zu sein.

Kolumbien. Bogota. Eine andere Millionenstadt. Ein Land, das beherrscht wird von Drogenkartellen und Korruption. Ohne die richtigen Leute zu kennen, gibt es keinen Weg nach Oben. Sein Vater ist Anwalt und er hat drei beruflich erfolgreiche Schwestern. Er ist Ingeneur. Ingeneur mit einem Job, der gerade so zum Überleben reicht. Es gibt zu viele. Er hört, dass der Miningboom in Western Australia viele Jobchancen für junge Ingeneure verspricht. Der Druck den sein Vater auf ihn ausübt bringt ihn bald dazu sein Glück in Down Under zu suchen. Er hofft, dass die rote Erde eine goldene Zukunft für ihn bereit hält. Auch er spricht die Sprache nicht, als er in Perth ankommt. Auf der Suche nach Gleichgesinnten, verliebt er sich in eine Brasilianerin. Er weicht nicht mehr von ihrer Seite, sie verbringen jeden Tag und jede Nacht zusammen. Sein Englisch verbessert sich kaum. Dafür spricht er nach einem Jahr fließend Portugiesisch. Sie fühlt sich nicht wohl in Perth. Versteht die Sprache nicht und zeigt auch keine Ambitionen, die Sprache zu lernen. Sein Ziel einen Job zu finden, hat er beinahe aufgegeben. Sie verlangt seine voll Aufmerksamkeit. Als sie ihn fragt, ob er mit ihr zurück nach Brasilien geht, sagt er ja. Er liebt sie, er will sie nicht verlieren, er nimmt eine neue Herausforderung an.  Beginnt wieder ein neues Leben in einem anderen Land. Er gibt seinen Traum von einem Leben in Australien auf, um einen anderen Traum zu verwirklichen. Die große Liebe.
In Brasilien entwickelt sich jedoch alles anders. Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft verblasst bald. Sie verändert sich, kontrolliert ihn, spoiniert ihm nach, erfindet Geschichten und räumt sein Konto leer. Mit seinem letzten Geld kauft er ein Flugticket. Er flieht. Nach Hause kann er nicht, dafür ist die Schande zu groß. Er kehrt zurück nach Perth. Diesmal will er sich von seinem Ziel nicht abbringen lassen. Durch Putzen finanziert er sich seinen Sprachkurs. Hier treffe ich auf ihn.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Er sagt, dass er keine Sekunde seiner Beziehung bereut und er für die richtige Frau das gleiche Risiko nocheinmal eingehen würde. Ich verstehe nicht ganz, denn ich habe immer versucht für diesem Risiko zu fliehen. Er erklärt mir, dass er eines aus der ganzen Sache gelernt hat und das ist, „nicht zurück zu schauen, sich selbst eine zweite Chance zu geben, denn es ist nicht Geld was dich glücklich macht. Das Gefühl jemanden zu lieben und geliebt zu werden, ist das mächtigste aller Gefühle. Das ist was ich will.“ Der Satz, „Glück kann man nicht kaufen“, bekommt hier für mich eine neue Bedeutung.

Frankreich. Reunion. Eine französiche Kolonie, bei Mauritius. Eine Insel mit einer hohen Arbeitlosenquote. Seine Eltern arbeiten in der Landwirtschaft. Das Leben ist hart. Arbeit bedeutet überleben. Für Gefühle bleibt wenig Zeit. Er ist ein Problemkind. Mit 17 Jahren schicken ihn seine Eltern nach Perth zu seinem Bruder, mit der Hoffnung, dass ihm die Veränderung gut tut. Es funktioniert. Er entwickelt sich, er lernt die Sprache und findet einen Job. Er sucht sich eine eigene Wohnung, wird selbstständig und erwachsen. Doch er ist einsam, vermisst seine Familie. Sein Bruder hat wenig Zeit. Zu seinem Glück, verliebt er sich. In eine Australierin. Er tut alles für sie. Sie scheint ihm das zu geben, was ihm immer gefehlt hat. Er fängt an, sein Leben zu genießen. Alles passt perfekt zusammen. Sie planen ihre Zukunft und wollen heiraten, um für immer  zusammen zu sein.
Sie verlässt ihn. Ohne Vorwahrnung. Er verliert den Boden unter den Füßen. Er verliert seinen Job. Sein Visum läuft aus.  Er muss zurück. In eine Zukunft ohne Zukunft. Seine einzige Möglichkeit, ein Sprachkurs über 20 Wochen, der seinen Aufenthalt verlängert, bis er einen anderen Weg findet. Hier treffe ich auf ihn.
Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind beide interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Er erzählt mir seine Geschichte. Sie ist einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der er über die Liebe spricht. Er sagt, „ egal wie verletzt ich bin, zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich besonders Gefühlt. Ich will dieses Gefühl noch einmal empfinden und gebe deshalb nicht auf. Egal, wie schlimm die Erfahrung für mich war,  um die wahre Liebe zu finden, nehme ich es in Kauf verletzt zu werden. Nur wenn man mit reinem Herzen liebt, versteht man was Liebe ist.“

Deutschland. Paderborn. Kleine Großstadt. Hier sagen sich Hase und Igel gute Nacht. Nach der Ausbildung und dem Abitur, fliegt er nach Perth, um die Sprache zu lernen. Beim Thema Liebe will nicht von sich sprechen, er will nur zuhören. Er will das Leben lesen. Seine Geschichten sind ein anderes Kapitel. Vielleicht Schwieriger. Um ihn zu verstehen, muss man sich Zeit nehmen. In erster Linie ist er Zuhörer und Berichterstatter. Die Liebe im Sicherheitsabstand.  Hier ist er Vorsichtig. Er macht einen Sprachkurs, um die Sprache besser zu verstehen. Hier trifft er sie.

Wir kommen ins Gespräch, verstehen uns gut , sind alle interessiert etwas aus anderen Teilen der Welt zu erfahren. Sie erzählen mir ihre Geschichte. Sie sind einzigartig. Am Meisten beeindruckt mich jedoch die Art und Weise, in der sie über die Liebe sprechen. Es ist nicht nur eine neue Sprache, die ich lerne, ich begreife auch, dass die Sprache der Liebe, die Sprache ist, die wir alle verstehen. Egal aus welchem Teil der Erde man stammt, das  Herz sitzt immer am gleichen Fleck. Ich höre viele unterschiedliche Geschichten, doch ihr Medium besteht meist aus der gleichen Substanz.  Es ist faszinierend, dass es Männer sind, die so offen in dieser Sprache sprechen. Einfach mal richtig hinzuhören und sich Zeit zu nehmen, würde vielleicht alles ein wenig leichter machen, denn wie gesagt: „ Es ist die Sprache, die wir alle verstehen.“

Perth. Australien. Die Stadt, der Liebe. Die Stadt, der tausend Abenteuer.  Die Stadt, der Lehren. Die isolierteste Stadt der Welt. Die Stadt, die Geschichten schreibt.

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