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Donnerstag, 21. März 2013

Liebes dringend nötiges Tagebuch, Teil 3

gewidmet: meinem lieben Bruder


Riesenradbewegungsrichtungswechselschaltzentralenoffiziersuniformskappenhalterungsanlagenbedienungsausweis - Heizölrückstoßabdämpfung - Sicherungsausfallanzeigelampentransformator


Seit drei Tagen liege ich nun im Bett. Ich bin krank. Fette Grippe. Der Grund dafür wird der Ausfall unserer maroden Heizungsanlage sein. Der Installateur meinte, dass wohl die Heizölrückstossdämpfung kaputt sei und, dass es wohl ein paar Tage dauern würde die Generalheizung wieder fit zu machen. Ich frier mir den Arsch ab und gesund werde ich so auch nicht. Außerdem bekomme ich einen Lagerkoller, wenn ich den ganzen Tag im Bett liege und zu viel Zeit zum Nachdenken habe ich dadurch auch. Maya geht mir nicht aus dem Kopf. Dieser Abend geht mir nicht aus dem Kopf. Mayas Worte haben sich unter unendlich erscheinenden Schmerzen wie heiße Nadelstiche  in meine Seele eingebrannt - „Verpiss dich“. Dazu kommt, dass meine Augenlieder scheinbar  die Projektionsfläche für meine Erinnerung an den Moment sind in dem  sie die  Tür schloss und mich mit einem so verachtenden Blick aus ihrem Leben verbannt hat. Immer wenn ich die Augen schließe erscheint dieses unerträgliche Bild. Am schlimmsten aber sind die Alpträume, die mich Nacht für Nacht wachhalten, mich nicht zur Ruhe kommen lassen.  Obwohl, Nein! Eigentlich ist es nur dieser eine Traum, der sich ständig wiederholt. Auch meine kläglichen Versuche der Freud’schen Traumdeutung haben mir bis jetzt  bei der Interpretation des Traumes keinen sonderlichen Erkenntniszuwachs gebracht. Ich weiß nicht, wie dieser Traum zu Stande kommt? Ich weiß nicht, warum ich immer wieder an diesen Ort gelange? Ich weiß auch nicht genau, was das mit meiner Situation zu tun haben soll? Ich weiß nur, dass mir mein Unterbewusstsein irgendetwas zu sagen versucht.  Es scheint ein tragisches Possenspiel zu sein, in dem ich gefangen bin. Ich bin der Protagonist meiner eigenen fatalistischen Satire.

Erster Akt
Erste Szene
Rummelplatz

Ich: (leicht zerstreut und suchend) /
Ein alter Mann in Offiziersuniform: „Steigen sie ein junger Mann, steigen sie ein. So lange es sich dreht, ist es sicher, dass es weiter geht.  Immer weiter. Und schauen sie nach vorn. Dort vorn geht es weiter. Immer weiter“ /
Ich: (steigt in ein Riesenrad)

Ich steige also ein und sitze allein in einer kleinen geschlossenen Gondel. Ich schaue hinaus und sehe die ganze Welt unter mir. Ich genieße den wunderschönen Ausblick. Ich erfreue mich daran. Ich bin fasziniert von dem Perspektivwechsel. Nah und fern und nah und fern. Es scheinen Stunden zu vergehen bis ich jedes Detail dieser so strahlenden Welt in mich eingesogen habe. Ich beobachte den alten Mann in seiner Offziersuniform, der hin und wieder in die Riesenradbewegungsrichtungswechselzentrale eintritt und einen Richtungswechsel einleitet. Mal bin ich fast am Boden und kann ihm dabei  zusehen, wie er  in dem gläsernen Kasten mit beinahe jugendlich anmutender Freude seiner Arbeit nachgeht, mal bin ich hoch in der Luft und kann nur anhand seiner roten Kappe erkennen, dass er  wieder einmal in der Bewegungsrichtungswechselschaltzentrale steht und die Fahrtrichtung ändert. Ich bilde mir dabei ein, ich hörte ihn lachen und  „Weiter, immer weiter“, sagen. Irgendwann sinkt die Sonne am Horizont  und es wird dunkel  um mich herum. Noch strahlen die Lichter ausreichend hell um ein anderes, aber ebenso schönes Bild von der Welt die unter mir liegt zu zaubern. Immer wieder geht es  auf und ab und auf und ab. Nach und nach verlassen die anderen Passagiere das Fahrgeschäft und auch die Lichter in der Ferne erlöschen. Letztendlich bin ich der einzige Verbliebene in diesem so spektakulär großen Riesenrad. Ich schaue zum alten Mann hinab und frage mich, wann er mich wohl aussteigen lässt. Ich kann an einem kleinen Licht in seinem Häuschen erkennen, dass er noch immer seiner Arbeit nachgeht. Nach einer halben Ewigkeit erfüllt und erschüttert mich die Besorgnis, dass ich wohl für immer in dem unaufhörlich drehenden Riesenrad gefangen bin. Alle Lichter sind längst aus, nur das Licht in der Bewegungsrichtungswechselschaltzentrale flackert noch in seinen scheinbar letzten Zügen. Ich kann erkennen, wie der alte Offizier seinen Riesenradbewegungsrichtungswechselschaltzentralenoffiziersuniformskappenhalterungsanlagenbedienungsausweis in der Hand hält, seine Kappe aufhängt und dann das Licht ausknippst. Aus.

Erster Akt
Zweite Szene
Gondel
Ich: (hoffnungslos)

Es ist stockdunkel und es wird mit jeder Umdrehung kälter in der Gondel. Immer wieder versuche ich aus ihr auszubrechen, doch es gelingt mir nicht. Ich liege zusammengekauert auf der Sitzbank und bin von Dunkelheit und Kälte umhüllt. Ich fühle mich leer. Alle zuvor von mir eingesogenen so farbenprächtigen Details nehmen ein kaltes grau oder schwarz an, bis sie irgendwann endgültig verblassen. Ich empfinde dabei nichts. Nichts außer Einsamkeit. Ich schließe die Augen und sofort erscheint wieder Mayas Gesicht in meinem Kopf. Es  wirkt eisig und hart. Mein Herzschlag verlangsamt sich spürbar und parallel dazu scheint das Riesenrad sich mit jeder Minute schneller zu drehen. Schneller, immer schneller.

Erster Akt
Dritte Szene
In meinem Kopfe
Ich: (vegetierend)

Weiter, immer weiter. Ich befinde mich in einem komatösen Trancezustand. Ich habe jegliche Selbstbeherrschung und Kontrolle über mich selbst verloren. Ich bin ein Gefangener meines eigenen Körpers. Mein Schicksal ist umringt von unüberwindbaren Mauern.  Dann geschieht es ganz plötzlich. Ganz unerwartet verlasse ich diese innere Festung und finde mich an einem völlig anderen, aber ebenso dunklen Ort wieder.

Zweiter Akt
Erste Szene
Irgendwo in der Dunkelheit
Ich: (völlig ungewiss)

Ich taste mich in der Dunkelheit voran um mich fortzubewegen. Ein unterbewusstes, stark brennendes Gefühl leitet mich durch die pechschwarze Einsamkeit. Ich finde einen Schalter und betätige ihn. An. Es flackert sofort ein kleines, schwaches Lichtlein und vor mir erkenne ich die Umrisse eines Sicherungsausfallanzeigelampentransformators. Ganz ohne nachzudenken, setze ich die fehlenden und zerstörten Sicherungen in Stand. Es ist augenblicklich taghell. Ich schaue an mir herunter  und erkenne  an meiner Haltung und meinen Händen, dass ich mich in dem Körper eines alten, knöchrigen Greises befinde. Ich fühle mich ausgelaugt, leer und immer noch sehr einsam.

Zweiter Akt
Zweite Szene
Ein stilles Örtchen auf dem Rummelplatz

Ich/ Ein alter Mann in Offiziersuniform [ohne Kappe]: (wie ferngesteuert, ohne Selbstbeherrschung, mit wachen, jugendlich anmutenden Augen): „Wieder, immer wieder.“

Ich schaue an mir hinab. Jetzt befinde ich mich auf einer der vielen Sanitäranlagen des Rummeplatzes. Ich halte in meiner alten, faltigen Hand mein verschrumpeltes Glied und  Blicke auf meinen ebenso faltigen Sack hinab. Dann schließe ich die Augen und versuche mich zu entspannen. Erst jetzt wird mit bewusst  mit welchem Gefühl ich die Sehnsucht nach Mayas Liebe vergleichen kann. Es ist ein kaum zu ertragender Schmerz, ein unendlicher Druck.
                               
  – Es ist das Gefühl …
     zu müssen, aber nicht zu können.  

Ich/ Ein alter Mann in Offiziersuniform [ohne Kappe]: (langsam mit geschlossenen Augen tief ein-und ausatmend)
Quälend lang stehe ich an diesem Ort und nichts passiert. Es fühlt sich an, als würde mein Unterleib innerlich zerreißen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als einfach loszulassen und mich von allen Lasten ein für alle Mal zu befreien.

Zweiter Akt
Dritte Szene
Am Scheideweg

Ich/ Ein alter Mann in Offiziersuniform [ohne Kappe]: (verharre am Höhepunkt)
(Traum aus)

Dann wache ich auf. Jedes Mal laufe ich dann völlig Blind, (den Weg unterbewusst genau wissend) durch die Dunkelheit, zum stillen Örtchen. Um mich zu erleichtern.  Ist das nicht völlig krank?  Das Gefühl, welches man empfindet - wenn man muss, aber nicht kann - wird jeder kennen. Jeder weiß wie quälend es ist zu warten, bis man nach stundenlangen Autofahrten endlich den erlösenden Rastplatz erreicht. Das Bedürfnis „es“ endlich raus zu lassen, ist auf ironische Weise in meinem Unterbewusstsein unauflösbar mit meinen Gefühlen für Maya verknüpft. Scheinbar hat sich in mir ein enormer Innerer Druck angestaut, den mein Körper durch genau dieses Ventil zu entlasten versucht. Es wirkt als sei mein Körper und mein Geist mit dieser Herausforderung heillos überfordert, sodass er nicht einmal zwischen diesen beiden augenscheinlich so grundverschiedenen Bedürfnissen zu unterscheiden vermag. Ich werde anfangen müssen meinen Traum genau zu analysieren um meinem „Über Ich“ die Kontrolle über „es“ zurück zu geben. Maya, was hast du mit mir gemacht? Fuck. Ich muss schon wieder aufs Klo.

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